Designlexikon: Was ist eigentlich Midcentury Design genau? - WELT

2022-06-10 20:28:56 By : Mr. LEO LIU

E rschöpfung kann so gut aussehen: Wenn Werbeprofi Don Draper sein turbulenter Alltag in der Madison Avenue zu Kopf stieg, retteten ihn in der Regel ein Glas Hochprozentiges – und eine Couch. Deren gerade, schnörkellose Form mit beigem Bouclé-Bezug, umrahmt von zwei Teak-Beistelltischen mit blauen Keramikleuchten, machte ihn schnell wieder fit für das hedonistische Manhattan der 60er-Jahre.

Ja, in der international erfolgreichen Fernsehserie „Mad Men“ konnte man viel über das amerikanische Lebensgefühl der Nachkriegszeit lernen, aber auch über das passende Design. „Midcentury“ oder auch „Midcentury modern“ nennt sich der Stil, der seither einen regelrechten Boom erfahren hat. Und der einfach nicht abbricht.

Ursprünglich geht der Begriff „Midcentury modern“ auf die amerikanische Journalistin Cara Greenberg zurück, die sich in ihrem gleichnamigen Überblickswerks von 1983 auf die Möbel der 50er-Jahre konzentrierte. Inzwischen ist der Begriff umfassender gemeint und umschreibt das Möbeldesign und die Architektur der 30er- bis 60er-Jahre. Charakteristisch für den Stil sind fließende, organische Kurven, aber auch reduziert-geometrische Formen.

Auf Ornamente oder Schnörkel wurde verzichtet, stattdessen galt das klassisch-moderne Motto, das auch schon die Bauhaus-Generation antrieb: „Form follows function!“ Die Gestaltung von Dingen sollte sich aus ihrem Nutzzweck ableiten. Für die Architektur bedeutete das beispielsweise die Verschmelzung von Innen und Außen: Große Fensterfronten und Schiebetüren machten die Terrasse zum erweiterten Wohnzimmer.

Was die Farben der Innenausstattung angeht, vertraute man auf eine Mischung aus neutralen Erdtönen und leuchtenden Primärfarben, bei den Materialien wurde es durch Fortschritt und Spielerei auch bislang exotisches Material wie Plexi- oder Acrylglas, Kunststoff oder Aluminium sein.

So entwarf der italoamerikanische Möbeldesigner Harry Bertoia einen Stuhl aus filigranem Metallgewebe in der Form eines Diamanten. Der ebenfalls in die Staaten emigrierte Eero Saarinen schenkte der Welt unter dem Namen „Tulip“ den ersten Stuhl mit nur einem Bein und das kreative Powerpaar Charles und Ray Eames sorgte mit einer einheitlichen Sitzschale aus fiberglasverstärktem Polyesterharz oder dem ultra-komfortablen „Lounge Chair“ für Furore.

Doch die Bewegung schwappte schon bald auch über den Atlantik: Der Italiener Gio Ponti, der Franzose Jean Prouvé oder der junge deutsche Industriedesigner Dieter Rams – sie alle trugen dazu bei, dass die Stilrichtung immer vielfältiger wurde. Besonders pointiert setzte sich der Stil in Skandinavien durch. Ob Poul Henningsens Leuchter „PH Artichoke“, Arne Jacobsens „Egg Chair“ oder die schlichten Holzmöbel von Alvar Aalto – die Entwürfe aus Nordeuropa sind bis heute epochenprägend, einige sind inzwischen zu gefragten Designklassikern avanciert.

Dass der Stil so erfolgreich wurde, lag aber auch am Zeitgeist. Nach den Entbehrungen der Kriegsjahre sehnten sich die Menschen nach Eleganz, Fortschritt und einem möglichst sorgenfreien Privatleben. Technologie und Wirtschaftsaufschwung sorgte für neue Produktionstechniken, aber auch die vorhandenen finanziellen Mittel.

Denn die neuen Entwürfe waren nicht nur hochwertig, viele waren auch explizit für die Serienproduktion bestimmt: „Vom Besten so vielen wie möglich so viel wie möglich für so wenig wie möglich“ zu bieten, lautete etwa das Credo von Charles und Ray Eames.

Wahrscheinlich sind es die Sehnsucht nach Optimismus und die reduzierte, aber sinnliche Formsprache, derentwegen uns der Stil bis heute so sehr fasziniert. Ein Dauerbrenner.Inzwischen blüht nicht nur der Markt mit Replikas, auch zeitgenössisches Design wird gerne auf „Midcentury“ getrimmt und vergessen geglaubte Prototypen wie der Stuhl „CH 88“ von Hans J. Wegner werden wieder neu aufgelegt.

Dank seines zeitlosen Stils ist der Begriff heutzutage zu einem Marketingtool mutiert: Selbst manch pfiffiger Privatverkäufer auf Ebay hofft durch entsprechende Etikettierung darauf, dass aus der ollen Leselampe der Großmutter noch ein echtes „Midcentury“- Schnäppchen wird.

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